ANDREA GUBITZ | Heimat-Photographie

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Altglas, Teil 4: das Orestor 135 mm

Altglas, Teil 4: das Orestor 135 mm

Inhalt

Alte Objektive immer beliebter

Alte Objektive – zu „Neudeutsch“ auch Vintage-Objektive oder mit einem Augenzwinkern „Altglas“ genannt –  erleben derzeit eine Renaissance. Ein Grund ist sicherlich die relativ einfache Adaption an spiegellose Systemkameras, die inzwischen sehr verbreitet sind. Schnäppchen für wenige Euro sind eher die Ausnahme, und das wohl beliebteste Vintage-Objektiv – das Trioplan 100 mm f 2,8 – gibt es inzwischen sogar als Nachbau neu.

Diese Objektive versprechen ein besonderes Bokeh, das man bei ihren modernen Verwandten nicht mehr antrifft. Dafür muß man bei den Ansprüchen an die Schärfe Abstriche machen, und auch chromatische Aberrationen können bei manchen Objektiven auftreten. Schärfe ist aber meines Erachtens ein völlig überschätztes Thema und für ein gutes Photo weniger wichtig als oft behauptet wird. Außerdem läßt sich heutzutage ja dank KI Einiges verlustfrei nachschärfen.

Hier in meinem Blog habe ich bereits drei alte Objektive beschrieben:

  1. das Helios 44 – 2 58 mm, f 2, ein sehr beliebtes Vintage-Objektiv aus russischer Produktion.
  2. das Hanimex-Spiegelobjektiv 300 mm, f 5,6; es stammt aus meinen analogen Phototagen.
  3. das Vivitar Serie I, 90 mm, ein Makroobjektiv vom Feinsten, ebenfalls aus meinem Altbestand.

Da auf dem Gebrauchtmarkt für Objektive sehr viele interessante Angebote aus der DDR-Produktion stammen, lohnt sich ein Blick auf diese Übersicht: https://www.dresdner-kameras.de/files/zeittafel_objektive.pdf

Mein Orestor 135 mm: technische Daten und Zustand

Bei meiner Suche nach einer preiswerteren Alternative zum berühmten Trioplan bin ich eines Tages auf das Orestor 135 mm von Meyer Optik Görlitz gestoßen, in gewisser Weise das Nachfolgemodell des Trioplan. Es wurde auf einer Handelsplattform als „technisch in Ordnung“ angepriesen, was dann doch nicht ganz der Wahrheit entsprach: Zwar sind die Linsen klar, aber es wackelt wie ein Lämmerschwanz. Der Bildqualität tut das allerdings keinen Abbruch. Der Anschluß des Objektivs ist ein M42-Schraubgewinde.

Es hat eine Offenblende von 2,8 und die Blende ist stufenlos einstellbar. Letzteres ist sehr praktisch, weil sich dadurch die Struktur des Bokeh sehr gut feinjustieren läßt. Die 15 Blendenlamellen sorgen für kreisrunde Gegenlichter. Der Mindestfokusabstand ist mit 1,5 Metern recht hoch. Um diesen zu verkürzen, bieten sich Zwischenringe an, die für ein paar Euro im Zubehörhandel zu haben sind.

Einen Überblick über die „Orestore“ findet sich hier.

Das besondere Bokeh

Um das typische Bokeh mit den kreisrunden Gegenlichtern zu erhalten, bietet sich die Adaption an eine Vollformatkamera an. Bei einer Spiegelreflexkamera muß man damit leben, daß der Maximalabstand, bei dem das Objektiv noch scharf stellt, sehr kurz ist, so ca. 3 m; genau nachgemessen habe ich das nie. Die Auflagemaße von Kamera und Objektiv weichen auch bei einem sehr dünnen Adapter stark voneinander ab. So begnüge ich mich mit dem, was geht, und das sind in erster Linie Aufnahmen von Blüten. Bei der Bildgestaltung ist allerdings Vorsicht geboten: die Lichtkreise im Hintergrund können schnell vom Hauptmotiv ablenken oder dieses sogar in den Schatten stellen.

Orestor 135 mm (KB), 1/250, ISO 200, offene Blende

Auch mit Zwischenringen wird aus dem Orestor kein richtiges Makroobjektiv, aber bei leicht geschlossener Blende offenbart sich ein sehr malerischer Effekt: Grashalme und einfache Blüten im Hintergrund wirken wie mit Pinselstrichen gemalt. Besonders deutlich ist dies bei der Aufnahme mit den Gänseblümchen zu sehen. Die Adaption an eine MFT-Kamera habe ich ebenfalls versucht. In diesem Fall wird die „Verdoppelung“ der Brennweite zum Problem; in einer Wiese wird es schwierig, einen passenden Bildausschnitt zu finden. Freistehende Blüten lassen sich aber recht schön ablichten, wie das Tulpenphoto zeigt.

Der Rosenkavalier

Wildblüten sind natürlich ein unerschöpfliches Motiv, das sich an jeder Ecke finden läßt. Bei mir ist es der eigene Garten, in dem die Wiese bis Ende Juni stehen bleibt. Manchmal darf es aber auch edler zugehen, insbesondere dann, wenn die Rosen im Frankfurter Palmengarten blühen. Die Farbenpracht ist so überwältigend, daß man gar nicht weiß, wo man anfangen soll zu photographieren. Hier spielt das Orestor ganz ohne Zwischenringe seine Stärken aus. Mit einer gehörigen Portion Mühe und Geduld – vor allem bei Wind – gelingt auch die Schärfe, wie z.B. die Aufnahme der Pfingstrosen zeigt. Ein gleichmäßig weiches Bokeh ist ebenfalls möglich: Blende auf und zwei Photos – ein scharfes und ein unscharfes – übereinander gelegt, und schon entsteht ein verträumter Bildeindruck (Ortoneffekt), wie er in der ersten Rosenaufnahme zu sehen ist.

Fünf Tipps zum Photographieren mit alten Objektiven

Die Photographie mit alten Objektiven ist eine wunderbare Art der Entschleunigung. Die Objektive müssen manuell bedient werden und das Scharfstellen erfordert Geduld und Übung.

  1. Wer in die Vintage-Photographie einsteigen will, sollte erst einmal in die Analogausrüstung der eigenen Familie schauen, oder bei den Eltern bzw. Großeltern im Bekanntenkreis nachfragen. Da läßt sich sicherlich so manches Schätzchen hervorholen, das schon Jahrzehnte nicht mehr benutzt wurde.
  2. Wer dort nicht fündig wird, kann sich im weltweiten Netz umschauen. Für den Anfang sehr geeignet ist das bereits erwähnte Helios 44-2, 58 mm, f 2. Es wurde in hohen Stückzahlen in Rußland gefertigt, entsprechend groß ist auch das Angebot. Es läßt sich an Kameras mit verschiedenen Sensorgrößen adaptieren, das Auflagemaß stimmt allerdings nie so richtig. Da es klein und leicht ist, findet sich immer noch ein Plätzchen im Kamerarucksack.
  3. Das hier vorgestellte Orestor ist da schon etwas schwieriger im Gebrauch. Das Scharfstellen klappt am besten mit der Lupenfunktion bzw. Kantenerkennung auf dem Stativ oder einem Bohnensack . Bei manchen Systemkameras funktioniert die Kantenerkennung leider nicht, z.B. bei meiner MFT-Kamera, die das Objektiv nicht als solches erkennt.
  4. Alte Objektive funktionieren oft besonders gut an APS-C-Sensoren. Diese scheinen der richtige Kompromiss zu sein.
  5. Ausführliche Informationen und Bildbeispiele zur Photographie mit Vintage-Objektiven finden sich auf der Internetseite von Roland Günter makrotreff.de.

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