ANDREA GUBITZ | Heimat-Photographie

Ich sehe was, was Du nicht siehst

ANDREA GUBITZ – Heimatphotographie

Architektur photographieren
im Lyoner Quartier
in Frankfurt

Inhaltsverzeichnis

Entstehung und Wandel der Bürostadt Niederrad

Zugegeben, es gibt malerischere Stadtteile in Frankfurt als das Lyoner Quartier – den meisten Frankfurtern besser bekannt als die Bürostadt Niederrad. Wer aber ein offenes Auge für moderne Architektur hat, dem sei ein ausgiebiger Rundgang durch das Quartier an Herz gelegt, und zwar am besten unter fachkundiger Leitung des Denkmalamts der Stadt Frankfurt am Tag des offenen Denkmals. Wer nicht auf diesen Tag warten will, dem sei als Einstieg ein Faltblatt des Denkmalamts wärmstenes empfohlen. Immerhin sind hier die insgesamt sieben, unter Schutz gestellten (ehemaligen) Bürogebäude ausführlich beschrieben. Bei einem anschließenden Besuch kann man sich dann in Ruhe der Architekturphotographie widmen.

Geplant wurde die Bürostadt Anfang der sechziger Jahre auf einem Areal zwischen den Stadtteilen Niederrad und Schwanheim. Wohnungen waren zu dieser Zeit dort nicht vorgesehen. Es entsprach dem damaligen Zeitgeist, Arbeit und Leben streng zu trennen. Das änderte sich allerdings im Laufe der Jahre mit der Entstehung konkurrierender Bürogebiete in Frankfurt und Umgebung. Anfang der 2000er Jahre nahm der Leerstand erheblich zu. Dies gab den Ausschlag, die Bürostadt in ein gemischt genutztes Wohn- und Bürogebiet zu transformieren, und zwar sowohl durch den Umbau alter Bürogebäude zu Wohngebäuden als auch durch Nachverdichtung. Schließlich wurde aus der „Bürostadt Niederrad“ das „Lyoner Quartier“, benannt nach der Partnerstadt von Frankfurt.

Der Brutalismus: Roh und massig = hässlich?

Wohl kaum ein Baustil in der deutschen Nachkriegsarchitektur ist so umstritten wie der Brutalismus. Der rohe Beton (béton brut) wird hier zur Schau gestellt. Es entstanden zum Teil massige Bauwerke, skulpturale Häuser, die sich nur mühsam oder gar nicht harmonisch in ein Stadtbild fügten. Viele dieser Bauten sind der Abrissbirne zum Opfer gefallen, prominentes Beispiel in Frankfurt war die Sprengung des AfE-Turms auf dem Bockenheimer Campus der Goethe-Universität. In Frankfurt sind aber auch noch einige dieser Gebäude erhalten, z.B. das Bürohaus der Union Investment oder die Zentrale der Deutschen Bundesbank. Inzwischen hat sich internationale Bewegung unter dem Namen #SOSBrutalism formiert, um die „Monster“ zu retten.

MPI, Ausschnitt: 26 mm (MFT), f 11, 1/640, ISO 400

Eines dieser Gebäude, das Max-Planck-Institut (MPI) für Dokumentationswesen, befindet sich im Lyoner Quartier in Niederrad und steht unter Denkmalschutz. Da es inzwischen einen Farbanstrich hat, ist es allerdings nicht mehr so richtig „brut“.

Unter photografischen Aspekten ist auch das Nachbarhaus von Interesse, da es sich als attraktive Spiegelfläche nutzen läßt.

Max-Planck-Institut: 31 mm (MFT), f 11, 1/100, ISO 400

Gebäude im Späten Internationalen Stil

Der Begriff Internationaler Stil bezieht sich auf Gebäude der Moderne mit glatten, oft mit Glas verkleideten Fassaden. Die Gebäude sind durch eine  funktionale minimalistische Ausstrahlung geprägt. Diese Bauten entziehen sich einer regionalen Bautradition, könnten also überall stehen. Diese Stilrichtung entstand in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Ein prominenter Vertreter dieser Richtung  ist Ludwig Mies van der Rohe. Gebäude, die ab den 60er Jahren gebaut wurden, werden dem Späten Internationalen Stil zugerechnet.

Nestlé-Deutschlandzentrale: 25 mm (MFT), f 11, 1/250, ISO 400

Die Fassade der ehemaligen Hauptverwaltung der Kaufhauskette Hertie besticht unter anderem durch die Textur der aus Leichtmetall gegossenen Brüstungsplatten, die vor allem im Sonnenlicht schön schimmern.

Beide Gebäude stehen unter Denkmalschutz.

In der Bürostadt Niederrad stehen gleich mehrere Vertreter dieser Stilrichtung. Zwei davon sind typische Hochhausscheiben, die in der Hauptzeit der Bebauung des Areals sehr beliebt waren. Das Gebäude der  Deutschlandszentrale von Nestlé (noch!) weist eine Besonderheit auf, nämlich einen kaum wahrnehmbaren Knick, der die Gleichförmigkeit der Fassade auflockert.

ehem. Hertie-Hauptverwaltung: 26 mm (MFT), f 11, 1/640, ISO 400

Die Olivetti-Türme: Architektur vom Feinsten

Fährt man auf der A5 aus Richtung Darmstadt nach Frankfurt, so hat man (als Beifahrer!) kurz hiner dem Frankfurter Kreuz einen guten Blick auf das wohl schönste Büroensemble Frankfurts: die Olivetti-Türme, erbaut nach Plänen von Egon Eiermann. Die Fertigstellung 1972 hat er nicht mehr erlebt. Das Ensemble wurde bereits im Jahr 2000 unter Denkmalschutz gestellt

Die beiden Türme stehen auf „Stelzen“, so daß sie über den jeweiligen benachbarten Flachbau ragen. Dies hatte den Sinn, die Geschossflächen zu vergrößern, da die bebaubare Fläche knapp war. Ursprünglich waren nämlich drei Türme vorgesehen.

ehem. deutsche Olivetti-Zentrale: 12 mm (MFT), f 8, 1/60, ISO 200
Olivetti-Turm 1: 16 mm (MFT), f 8, 1/80, ISO 200
Olivetti-Turm 1, Detail: 40 mm (MFT), f 11, 1/60, ISO 400

Das gesamte Gebäude vor Ort zu photographieren, ist nicht ganz einfach. Es gibt eigentlich nur eine Straßenecke, von der aus es mit einem Weitwinkel klappt. Stürzende Linien müssen behutsam in der Nachbearbeitung entfernt werden. Das Gebäude weist eine Fülle von spannenden, photographisch reizvollen Details auf. Die Aufnahme rechts beispielsweise zeigt Spiegelungen in einer Tür und in den Fenstern einer Stelze. Auch mit den Metallstreben und den Sonnensegeln lassen sich spannende grafische Eindrücke einfangen (siehe das Bild zu Beginn des Beitrags).

Nach jüngsten Zeitungsberichten sollen auf dem Grundstück zwei weitere Hochhäuser gebaut werden. Wie das aussehen könnte, läßt sich hier „bewundern“. Mit dem unverstellten Blick auf das Ensemble wäre es dann wohl vorbei. Unter dem Aspekt des Denkmalschutzes ist das eine optische Katastophe.

Vertreter der Postmoderne

Ein neuer Bebauungsplan der Bürostadt in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hob das strenge Prinzip der rechtwinklichen Bauweise auf. Dies ermöglichte nun auch raumgreifende Gebäudeanordnungen wie z.B. die Ausrichtung der Gebäudeteile am 45-Grad-Winkel. Bezüge zu historischen und regionalen Stilelementen und die Überwindung der reinen Funktionalität sind typische Kennzeichen der  Postmoderne. In Frankfurt entstanden eine Reihe von Bauten dieser Stilrichtung, prominentestes Beispiel ist hier der Messeturm.

Hahnstraße 30-32: 21 mm (MFT), f 8, 1/200, ISO 400
Atricom, Atrium-Skulptur: 12 mm (MFT), f 8, 1/40, ISO 400

In der Bürostadt Niederrad gibt es zwei bemerkenswerte Gebäude dieser Art. Eines steht in der Hahnstraße (es hat keinen besonderen Namen). Sowohl die quadratische Grundstruktur als auch die Fassadengestaltung erinnern an das Torhaus der Messe Frankfurt. Die unregelmäßig um einen Kern angeordneten Gebäudearme geben dem Bau aber einen ganz eigenen skulpturalen Eindruck, der sich auch von allen Seiten anders darstellt. Das Photo links ist eine „Rückansicht“, wobei es eine Rückseite im eigentlich Sinn ja gar nicht gibt. Dieses Gebäude wird derzeit in ein Wohnhaus umgebaut.

Ein zweiter Vertreter der Postmoderne ist das Atricom. Der Name wurde aus den Worten „Atrium“ und „Communication“ gebildet. Das Atrium mit seiner Kunstinstallation des Filmarchitekten Rolf Zehetbauer kann besucht werden und ist ein besonderes Highlight im Lyoner Quartier.

Im Wald voller Häuser

Architektur ist nicht mein photographischer Schwerpunkt. Auch in Frankfurt bin ich am liebsten in der Natur unterwegs. Gerade im Lyoner Quartier fühlte ich mich aber an meine ersten Probleme mit meinen Wald- und Baumaufnahmen erinnert. Einen ganzen Baum zu photografieren, macht meistens nicht viel Sinn, ein ganzes Bürogebäude auch nicht. Vielmehr sind es die charakteristischen Elemente eines Hauses (Baumes), die hervorgehoben werden sollten. Mit zu wenig Licht – so wie im Wald – hat man in der Architekturphotographie meistens nicht zu kämpfen, selbst die Mittagssonne (sonst ja eher verpönt) kann zu spannenden, kontrastreichen Bildern führen, und die Ausprägung in Schwarz-Weiß ist oft eine gute Option.

Für meine Photospaziergänge in Fankfurt nutze ich gern meine kleine Kamera mit einem Zoomobjektiv von 12 bis 40 mm Brennweite, das entspricht 24 bis 80 mm an einer Vollformatkamera. Andere Brennweiten habe ich bisher nicht vermißt. So ausgestattet, steht einem entspannten und zugleich entdeckungsreichen Photonachmittag nichts mehr im Weg.

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