ANDREA GUBITZ | Heimat-Photographie

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ANDREA GUBITZ – Heimatphotographie

Abstrakte Photographie (Teil1/3): Das Motiv

Abstrakte Photographie (Teil 1/3)

Das Motiv

Inhalt

Abstrakte Photographie kann süchtig machen!

Abstrakte Photographie – das ist doch nur etwas für „echte“ Photokünstler, oder? Aber ein Künstler steckt doch in uns allen! Schnappt Euch eine Kamera, egal welche. Sie ist ein phantastisches Werkzeug, um Formen, Farben und Strukturen aus Gegenständen herauszulösen und damit ein neues Motiv zu zeigen. Laut Meyers Großes Taschenlexikon [1983] versteht man unter Abstrakter Kunst „nur Kunstwerke, deren Formen und Farben eine eigene, nicht auf Imitation von Realität bezogene Autonomie und bildimmanente Logik besitzen.“ In der Malerei beispielsweise läßt sich das gedanklich entwickelte Werk auf eine unberührte neutrale Fläche bringen. Die Fläche wird mehr oder weniger stark bearbeitet.

In der Photographie stellt sich die Aufgabe etwas anders dar. Es ist ja zunächst immer die Abbildung eines Gegenstands, die auf das als wesentlich Erkannte reduziert werden muß, um das Motiv (die Struktur, die Form, die Farben) hervorzubringen. Viele Merkmale eines solchen Gegenstands müssen also ausgesperrt werden, um den Blick auf das Abstrakte freizugeben. Dies kann bedeuten, daß der Gegenstand gar nicht mehr zu erkennen ist, oder aber so stark in den Hintergrund tritt, das er kaum noch wahrgenommen wird.

In der Praxis müssen wir also „neu sehen“ *) lernen. Unsere Augen sind also das Wichtigste, ein paar Bildideen dürfen freilich nicht fehlen. Hat man sich erst einmal „eingesehen“, so kann man schnell von der Fülle an Motiven überwältigt werden. Abstrakte Photographie kann süchtig machen!

In diesem Beitrag geht es um mögliche Motive, die in einem Einzelbild  scharf abgebildet sind. Die Nachbearbeitung am Computer beschränkt sich auf die üblichen Schritte in der RAW-Entwicklung einschließlich des Beschnitts, der hier eine besonders wichtige Rolle spielt. In zwei weiteren Beiträgen möchte ich auf Abstraktion durch (Bewegungs-) Unschärfe (Teil 2) und durch Mehrfachbelichtung (Teil 3) eingehen.

Oberflächenstrukturen

Als Einstieg in der abstrakte Photographie eignen sich Oberflächenstrukturen, die wir überall finden können. Das erste Motiv lag mir buchstäblich zu Füßen – ein Zufallsfund bei einem Spaziergang durch das Frankfurter Ostend. Auch bei dem zweiten Motiv hatte ich eigentlich anderes im Sinn (nämlich einen Strommasten, siehe unten), als mir an dieser rostigen Schuppenwand die warmtonige Farbkomposition ins Auge sprang. Das dritte Motiv erschloß sich mir nicht so unmittelbar; erst als ich die Spiegelung der Landschaft auf der schwarzen Folie entdeckte, konnte ich diesem eigentlich unansehnlichen Gegenstand etwas abgewinnen. Bei dem letzten Bild geht es nur noch um Farben, der Untergrund selbst ist hier gar nicht mehr zu erkennen.

Ein Tipp: Industriemuseen, wie die Kokerei Hansa in Dortmund, sind wahre Fundgruben für interessante Flächen, Farben und Formen.

Spiegelungen auf dem Wasser

Wenn es um abstrakte Darstellungen geht, sind Spiegelungen ein häufig gewähltes Motiv. Bewegtes Wasser ist besonders spannend, da sich hier alle möglichen Formen ergeben können. Viele Versuche und Geduld sind gefragt! Alle vier Bilder sind bei einem Photoausflug in den Frankfurter Stadtwald entstanden, die ersten drei sogar an ein und derselben Stelle. Die Bildidee hatte ich zuvor schon recht konkret im Kopf. Bei den ersten beiden Photos hatte ich Unterstützung von einem heranschwimmenden Blesshuhn, das von einem am Ufer stehenden Menschen Futter erwartete. Auf dem letzten Photo schauen wir auf eine Pfütze; der Durchblick auf den Grund wurde durch einen Polfilter erzielt.

Ein Tipp: Auch wenn es auf den ersten Eindruck widersprüchlich erscheint, ist ein Polfilter bei Spiegelungen ein sehr nützliches Hilfsmittel, um die richtige Mischung aus Spiegelung und Durchsicht zu ermöglichen, so auch bei Schaufenstern.

Geometrische Formen

Warum photographieren eigentlich so viele Menschen den Vollmond? Das Motiv ist ja nicht so abwechselungsreich, schließlich sehen wir immer die gleiche Seite des Himmelskörpers. Aber er wirkt auf uns so schön rund. Kreise und Kugeln empfinden wir als besonders harmonisch. Daher lohnt es sich, danach Ausschau zu halten. In und an Gebäuden – wie bei den ersten beiden Photos – wird man oft fündig. Aber auch andere geometrische Formen ergeben ansprechende Motive; ich finde vor allem Dreiecke, wie im vierten Bild,  sehr reizvoll. Im dritten Bild ist der Gegenstand noch deutlich zu erkennen, tritt aber gegenüber den Quadraten weitgehend in den Hintergrund.

Ein Tipp: Um den Blick für die Darstellung geometrischer Formen zu schärfen, ist es sehr hilfreich, sich mit den Bildern großer Meister der abstrakten Kunst zu befassen, z. B. den Malern am Bauhaus. Zu nennen ist hier vor allem Wassily Kandinsky, der auch als einer der Begründer der abstrakten Kunst gilt.

Vier Gedanken zum guten Schluß

105 mm (KB), f 8, 1/100, ISO 560

1. Abstrakte Motive lassen sich überall finden. Dabei lösen wir uns vom Gegenständlichen. Oft ist ein Beschnitt des Photos notwendig. Auch das Bildformat spielt hier eine wesentliche Rolle, es muß meistens exakt sitzen, wie das nebenstehende Photo zeigt. Welche Kamera wir benutzen, ist vollkommen egal, auch ein Smartphone leistet gute Dienste.

2. Neben der Suche nach dem passenden Motiv in der Natur oder der Architektur, können wir abstrakte Motive auch konstruieren. Damit kommem wir der Vorstellung eines gegenstandslosen, nur unserer gedanklichen Vorstellungskraft entspringenden Bildes schon ziemlich nahe. Das Titelbild entstand auf diese Weise. Die Zutaten – denkbar einfach: eine Glasplatte aus einem Bilderrahmen, eine Murmel und eine goldene Folie, außerdem zur Beleuchtung eine Stehleuchte. Daraus entsteht eine Kugel (ein Planet?), die durch den Raum (das All?) fliegt.

3. Abstrakte Photos lassen sich auch sehr gut zu einer Serie zusammenstellen. Dabei sollte man darauf achten, daß die verbindenden Elemente die Serie zu einem Ganzen werden läßt. Dabei sollten die Elemente der Serie in Anmutung und Qualität  gleichgewichtig und nicht von einzelnen Bildern dominiert sein. Dies könnten z.B. Photos von geometrischen Formen sein, alle in einer Schwarz-Weiß-Bearbeitung oder in einer einheitlichen Farbgebung. Hier leistet die Nachbearbeitung am Computer mit wenigen Klicks gute zusätzliche Dienste.

4. Abstrakte Photos müssen reifen, d.h. sie sollten nach einer ersten Sichtung erst einmal ein paar Tage oder besser sogar Wochen unangetastet liegen bleiben. Mit etwas Abstand läßt sich viel besser beurteilen, ob ein Photo ein Gefühl anspricht oder eine Geschichte erzählt. Die in diesem Beitrag gezeigten Bilder sind zum Teil schon mehrere Jahre alt und gefallen mir noch immer. So sollte es sein. Der Amateur kann sich den Luxus leisten, zu photographieren, was ihr/ihm gefällt, der Profi muß oft photographieren, was dem Kunden gefällt.

*) Der Terminus „Neu sehen“ stammt von dem Maler und Photographen Lazlo Moholy-Nagy [1895 – 1946], der unter anderem auch am Bauhaus tätig war.

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