ANDREA GUBITZ | Heimat-Photographie

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ANDREA GUBITZ – Heimatphotographie

Abstrakte Photographie (Teil 3/3): Mehrfachbelichtung

Abstrakte Photographie

(Teil 3/3):

Mehrfachbelichtung

Inhalt

Zwischen Realität und Abstraktion

In zwei Beiträgen habe ich mich schon mit Aspekten der abstrakten Fotografie beschäftigt. Im ersten Teil dieser kleinen Serie ging es um das Motiv an sich. Hier tritt das Gegenständliche gegenüber abstrakten Formen und Strukturen in den Hintergrund. Es gilt, solche Motive zu finden. Der zweite Teil behandelte die Unschärfe als Gestaltungsmittel, wobei auch hier Realität und Abstraktion fließend ineinander übergehen.

Grundsätzlich ist die Ausgangssituation bei Mehrfachbelichtungen ähnlich. Die Möglichkeiten der Bildgestaltung sind hier jedoch vielfältiger als beim Spiel mit der Unschärfe. So können nahezu beliebig viele Bilder miteinander kombiniert werden, natürlich auch solche, die zu verschiedenen Zeitpunkten gemacht wurden. Der Fundus ist das eigene Photoarchiv, und das ist bei uns Photographen ja bekanntlich nicht gerade klein.

Dem Thema „Mehrfachbelichtung“ bzw. genauer dem der „Doppelbelichtung“ habe ich bereits früher einen Beitrag gewidmet. Hier werden auch die beiden grundsätzlichen Techniken beschrieben: die Mehrfachbelichtung aus der Kamera sowie die nachträgliche Überlagerung in der Bildbearbeitung.

In dem hier vorliegenden Beitrag sind alle Bilder nachträglich am Rechner zusammengesetzt worden, wobei ich die passenden Motive in engem zeitlichen Abstand jeweils vor Ort photographiert habe. So wurde zum Beispiel die Rose des Kirchenfensters im Mariendom in Velbert in das Deckengewölbe „projiziert“.

Das zweite Bild oben sieht sehr gegenständlich aus. Aber hat die Photographin wirklich auf einen Hochofen in einem Werksgelände gestanden, um die Fackel aufzunehmen, und wie kommt der Baum mitten auf das Betriebsgelände?

Ein Bild oder viele?

Eine Mehrfachbelichtung besteht normalerweise – wie der Name schon sagt – aus mehreren Photos. Dies muß aber nicht sein. Die beiden oberen Bilder aus der folgenden Serie sind jeweils aus einer Aufnahme entstanden, die einmal in der Originalausrichtung und einmal um 90° gedreht verwendet wurden. Dann heißt es, verschiedene Mischmodi auszuprobieren. Außerdem darf auch ‚mal kräftig an den Reglern gezogen werden, was ja sonst meistens keine gute Idee ist. Dieselbe Bildkombination kann auch zu recht unterschiedlichen Ergebnissen führen, je nach Mischmodus und Bildausschnitt. Dies wird im Vergleich des Photos rechts oben mit dem Beitragsbild deutlich.

Die beiden unteren Bilder dieser Serie sind hingegen echte Mehrfachbelichtungen. Die Photos wurden jeweils gezielt für diesen Zweck aufgenommen. Typisch für Mehrfachbelichtungen ist, daß die einzelnen Aufnahmen für sich betrachtet eher uninteressant sind.

Das Motiv und sein Hintergrund

Manchmal ist es jedoch umgekehrt: das Hintergrundmotiv, in der Doppelbelichtung nur schmückendes Beiwerk, ist hier eigentlich das bessere Photo. So entstand die rote Skulptur auf dem Hochofen Phoenix West in Dortmund, der bei der Abendführung rot angestrahlt wird. Dies und die nachträgliche Drehung um 90° verleihen dem Bild seinen Abstraktionsgrad. Bei der Doppelbelichtung zeigt der Vordergrund ein anderes Detail an demselben Ort.

Bilder erschaffen wie Pep Ventosa

Der katalanische Photograph Pep Ventosa ist berühmt für seine „Trees in the Round“. Im weltweiten Netz finden sich allerlei Beschreibungen, wie man solche Bilder selbst erstellen kann. Die Idee klingt erst einmal einfach: Man umrundet mit der Kamera einen Baum und macht viele Photos, so um die 30 dürfen es gern sein. Diese werden dann in einer Software, die das Arbeiten mit Ebenen erlaubt, zusammengesetzt. Auf diese Weise entsteht ein verfremdetes und verträumtes Bild.

Die Idee mag einfach klingen, die Umsetzung ist es aber nicht! Zunächst muß ein passender Baum gefunden werden. Dieser darf nicht zu dicht vor dem Hintergrund stehen, muß sich farblich abheben, und man muß ihn – immer in demselben Abstand – umrunden.  Der Stamm sollte möglicht gerade gewachsen sein. Ein Baum auf einer Wiese ist zum Beispiel geeignet, jedenfalls außerhalb der Brutzeit. Um immer den gleichen Abstand zu wahren, hilft es, die Schritte bis zum Stamm zu zählen, um gegebenenfalls die Position immer wieder korrigieren zu können. Um Stamm und Horizont an derselben Stelle im Bild zu halten, empfiehlt es sich, die Gitternetzlinien im Sucher zu nutzen. Ein Stativ wird oft empfohlen, ich habe aber keines benutzt. Eher ist – je nach Wind – eine kurze Verschlußzeit hilfreich, um die Bewegungsunschärfe gering zu halten. Die Blende sollte so weit geschlossen sein, daß mindestens der Baum selbst durchgängig scharf wird. Und keine Angst vor hohen ISO-Werten; da viele Bilder verrechnet werden, wird eventuelles Rauschen ausgeglichen.

Sind die Bilder im Kasten, geht es an die Nachbearbeitung. Hier ist Geduld gefragt, denn einzelne Aufnahmen müssen noch etwas ausgerichtet werden, oder sie passen so gar nicht ins Bild. Auch die Veränderung der Reihenfolge kann den Bildeindruck stark beeinflussen. Je mehr Aufnahmen man beibehält, desto diffuser ist der Bildeindruck (Bild links), und umso wichtiger ist sorgfältiges Arbeiten vor Ort. Es kann sich auch lohnen, ein einzelnes Bild stärker zu betonen, um zum Beispiel einen Weg herauszuarbeiten (Bild Mitte). Und wer sagt, daß es nur ein Baum sein muß? (Bild rechts) Ist die Zusammensetzung abgeschlossen, ist eine weitere Nachbearbeitung nötig, da Kontrast und Farbigkeit durch das Mischen leiden. Mir gefiel am Ende ein monochromer Bildeindruck am besten, aber das ist natürlich Geschmackssache. Alles in allem muß man für diese Art von Aufnahmen viel Zeit einplanen.

Vier Gedanken zum guten Schluß

(1) Mehrfachbelichtungen sind zweifellos eine Bereichung im photographischen Repertoire. Die überbordende Vielfalt an Kombinationen kann aber auch schnell zu Enttäuschungen führen, denn viele Zusammensetzungen funktionieren einfach nicht. Da oft eine aufwändige Nacharbeitung im Spiel sind, kann schon ‚mal Frustration auftreten.

(2) Eine Alternative ist die Mehrfachbelichtung aus der Kamera, allerdings sind hier die Möglichkeiten stark eingeschränkt. Moderne Systemkameras erlauben sogar, ein Bild von der Speicherkarte als erste Aufnahme zu wählen, um dann eine zweite darüberzulegen. Diese kann dann wieder als Basis für die nächste Aufnahme verwendet werden. Das mag nach weniger Arbeit klingen, aber eine gezielte Bildgestaltung ist so meines Erachtens nicht möglich.

(3) Es ist unbedingt erforderlich, sich sowohl eine Bildidee als auch eine gestalterische Umsetzung im Vorfeld zu überlegen. Am Anfang ist es einfacher, mit klar strukturierten Motiven zu arbeiten, wie sie sich zum Beispiel bei Industriedenkmälern zu Hauf finden lassen. Zu Beginn ist es auch empfehlenswert, sich auf wenige Photos als Ausgangsmaterial zu beschränken.

(4) Üben, üben, üben! Die Mehrfachbelichtung ist eine sehr spezielle Phototechnik, die auch fortgeschrittene Kenntnisse in der Nachbearbeitung erfordert.

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