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Kassel ist eine Reise wert!
Ab nach Kassel – das riefen die Menschen 1870 in Aachen Napoleon III. hinterher, als dieser nach verlorener Schlacht mit dem Zug nach Kassel gebracht wurde. Seitdem ist es eine verbreitete Redewendung, wenn man jemanden wegschicken oder loswerden möchte. Der Spruch wird heute gern in umgedrehter Bedeutung als Werbeslogan für einen Besuch der Sadt Kassel genutzt.
Eine nicht repräsentative Umfrage in meinem Bekannten-kreis ergab, daß die meisten Kassel als Autobahnausfahrt oder Umsteigebahnhof wahrnehmen. Hat sie das verdient? Ich meine: nein!
Kassel ist nicht im landläufigen Sinne eine schöne Stadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg zu 80% zerstört wurde sie Mitte der 50er Jahre als „Neue Stadt auf altem Grund“ wieder aufgebaut. Dieser Wiederaufbau orientierte sich am Leitbild einer „funktionalen Stadt“, wie sie der Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) bereits 1933 in der „Charta von Athen“ erarbeitet hatte. Wer also auf Architektur der 50er Jahre steht, ist hier genau richtig.
Heute ist Kassel hauptsächlich als „documenta Stadt“ bekannt, und Kunst im öffentlichen Raum gibt es reichlich zu entdecken.
Wer lieber die – gestaltete – Natur genießen möchte, dem sei ein Spaziergang durch die Karlsaue mit einer schönen Blickachse auf die Orangerie (siehe Titelbild) empfohlen. Und natürlich darf auch ein Besuch des Bergparks Wilhelmshöhe nicht fehlen.
Der Bergpark Wilhelmshöhe
Der Bergpark Wilhelmshöhe ist vor allem durch die Wasserspiele bekannt. Sie funktionieren seit über 300 Jahren immer noch nach dem alten Prinzip ohne Einsatz von Pumpen. Allerdings ist das Spektakel nur von Mai bis Oktober zweimal in der Woche zu erleben. Bei meinem Besuch im April mußte ich mich mit der Besichtigung der barocken Parkanlage begnügen. Aber auch dann gibt es viel zu sehen und zu photographieren, und das bei wenigen Besuchern. Schloß Wilhelmshöhe erreicht man mit der Straßenbahnlinie 1. Von dort kann man auf einem Rundweg bis hinauf zum Herkules und zurück spazieren gehen. Dabei sollte man, vorbei an den (künstlich angelegten) Steinhäuser Wasserfällen, zur Löwenburg gehen. Letztere kann man bei einer einstündigen Führung auch innen besichtigen.
Freiluftgalerie für Fassadenkunst
Kassel ist unter anderem die Stadt der Fassadenmalerei. In verschiedenen Stadtteilen kann man auf kleinen Touren den Reigen der Kunstwerke ablaufen. Besonders gut haben mir die Fassadenbilder im Schillerviertel und in der Nordstadt gefallen. Und diejenigen, die den Bahnhof Wilhelmshöhe nur zum Umsteigen nutzen, sollten ihren Anschluß zeitlich ein wenig großzügiger planen, um die Malereien an den Zugängen zu den Bahnsteigen zu betrachten.
Ein paar Anmerkungen für einen gelungenen Photo-Trip
In zwei Tagen läßt sich in der Stadt Kassel viel entdecken. Es gibt ein gut ausgebautes Straßenbahnnetz, und die Bahnen fahren in hoher Taktfrequenz. Gutes Schuhwerk zum Pflastertreten ist allerdings auch sehr wichtig. Als Photoausrüstung hatte ich eine MFT-Kamera mit einen Zoom (12 bis 40 mm, entspricht 24 bis 80 mm an Vollformat) dabei. Diese Kombination ist angenehm leicht, und die erhöhte Tiefenschärfe ist beim Photographieren in Städten sogar von Vorteil. Ein Stativ kommt eigentlich nur zum Einsatz, wenn man bei Einbruch der Dunkelheit oder nachts photographieren möchte.
Architektur photographieren
Bei Städtetouren ergeben sich automatisch viele Architekturaufnahmen. Da lassen sich stürzende Linien nicht vermeiden, denn ein erhöhter Standpunkt kann meist nicht eingenommen werden. Daher sollte man um das Motiv herum genug Platz für die nachträgliche Transformation des Bildes lassen. Aber bitte nicht übertreiben: begradigt man die Vertikalen zu stark, so wirkt das Gebäude unnatürlich und die Bildqualität leidet. Das menschliche Auge ist ein guter Indikator, wie stark die Bild-anpassung sein sollte. Natürlich lassen sich stürzende Linien auch kreativ nutzen.
Architekturphotographie reicht von überwiegend dokumentatorischen Aufnahmen bis hin zu abstrakten Bildern, bei denen es nur auf Linien und Strulturen ankommt. Besucht man eine Stadt oder ein Quartier zum ersten Mal, so wird die Dokumentation im Vordergrund stehen. Je nach Lichtverhältnissen ist eine Schwarzweißaufnahme eine gute Option, nämlich immer dann, wenn die Farben nicht besonders attraktiv sind und von interessanten Details eines Gebäudes ablenken.
Kunst photographieren
Kunst „abzuphotographieren“ hat bei Photographen oft eine negative Konnotation, denn die Ästetik des Bildes stammt ja von jemand anderem. Das ist bei Aufnahmen von Gebäuden auch nicht viel anders. Gleichwohl gilt es auch hier, gestalterische Entscheidungen zu treffen. Bei der Fassadenkunst beispielsweise muß überlegt werden, ob und wieviel von der Umgebung des Kunstwerks gezeigt werden soll. Oder zeige ich vielleicht nur ein Detail wie z.B. den Waschbären. Außerdem stehen oft Straßenschilder, Laternen oder Bauzäune im Weg, gehören sie zur Darstellung oder sollte man zum Retouchepinsel greifen? Ein Beispiel: Auf dem Photo mit Joseph Beuys habe ich das Parkplatzschild belassen, aber das darüberbefindliche Anhalteverbotsschild entfernt, da es zu sehr vom Hauptmotiv abgelenkt hätte.
Wenn ich unterwegs bin, zeichne ich meine Touren oft mit einer Wander-App auf und ergänze die Tour mit ein paar Smartphone-Photos. Das erleichtert das Wiederfinden von Motiven bei einem zweiten Besuch, um Gutes besser zu machen.