ANDREA GUBITZ | Heimat-Photographie

Ich sehe was, was Du nicht siehst

ANDREA GUBITZ – Heimatphotographie

Wohnsiedlungen der Berliner Moderne

Hufeisensiedlung in Berlin (Siedlung Brix), Bestandteil der Berliner Moderne
Hufeisensiedlung (Siedlung Brix, Berlin)

Wohnsiedlungen der Berliner Moderne

Inhalt

„Ich hab noch einen Koffer in Berlin ...

… deswegen muß ich immer wieder hin.“ Dieser weltberühmte Schlager von Marlene Dietrich (Musik/Text von Ralph Maria Siegel und Aldo von Pinelli) spricht vielen, die es öfter nach Berlin zieht, aus dem Herzen. Die Stadt ist zwar nicht besonders schön, aber facettenreich, und ein wahres Eldorado für Architekturphotographen. Hier gibt es von Bauten aus dem Mittelalter (z.B. die Zitadelle Spandau) bis zu solchen der jüngsten Vergangenheit (z.B. der Potsdamer Platz) zu bestaunen. Wer etwas abseits der Touristenpfade auf Entdeckungstour geht, wird schnell auf die Wohnsiedlungen der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts aufmerksam.

Luft, Licht und Sonne

Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte in vielen deutschen Großstädten aufgrund hoher Zuwanderung akute Wohnungsnot. Hinzu kam ein schlechter Zustand der vorhandenen Wohnbauten. In Berlin herrschten in düsteren Mietskasernernen mangelhafte hygienische Vehältnisse. Gleichzeitig entstand – geprägt von den Prinzipien des Neuens Bauens – eine moderne Architektur frei von jeglichen Schnörkeln, aber mit einem hohen funktionalen Anspuch, der die Wohnverhältnisse stark verbessern sollte: Luft, Licht und Sonne. Diese neue Bauweise sollte ein neues und umfangreiches Angebot von bezahlbarem Wohnraum schaffen. Viele namhafte Architekten, wie Walter Gropius oder Hans Scharoun, haben hierzu beigetragen. Und was den Frankfurtern ihr Ernst May ist, ist den Berlinern Bruno Taut.

Seit 2008 sind sechs Siedlungen der Berliner Moderne Unesco-Weltkulturerbe. Wer sich also für moderne Architektur begeistern kann, dem sei ein Besuch der ein oder andern Großsiedlung in Berlin empfohlen. Drei von ihnen stelle ich hier vor. Alle sind gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.

Die Großsiedlung Siemensstadt

Anders als der Name es vermuten läßt, war der Bau der Großsiedlung Siemensstadt ein kommunales Wohnungsbauprojekt, es stand gleichwohl im Zusammenhang mit den im gleichnamigen Ortsteil angesiedelten Industriebetrieben.

Zwischen 1929 und 1934 wurden die Wohnbauten im Stil der klassischen Moderne errichtet. Gleich sechs Architekten hinterließen hier ihre ganz eigene Handschrift: Walter Gropius, Otto Bartning, Fred Forbát, Hugo Häring, Paul Rudolf Henning und Hans Scharoun, dem auch die Leitung des Projekts oblag. Sie gehörten der Vereinigung „Der Ring“ an, weshalb die Siedlung auch Ringsiedlung genannt wird.

Die Berliner sind bekanntlich besonders erfinderisch, wenn es um Spitznamen für Gebäude geht. So heißt das mit Elementen aus der Seefahrt versehene Gebäude von Hans Scharoun auch „Panzerkreuzer“, und das langgestreckte Gebäude von Otto Bartning „Langer Jammer“. Alle Gebäude sind vor Ort auf Informationstafeln ausführlich beschrieben.

Die Wohnstadt Carl Legien

Als ich den Standort der Wohnstadt Carl Legien recherchiert habe, bin ich erst einmal über einen interessanten Straßennamen gestolpert, nämlich die Gubitzstraße, benannt nach dem Künstler und Herausgeber Friedrich Wilhelm Gubitz, einem entfernten Vorfahren von mir.

Die Wohnstadt Carl Legien liegt zu beiden Seiten der Erich-Weinert-Straße im Ortsteil Prenzlauer Berg. Gebaut wurde sie nach Plänen von Bruno Taut und Franz Hillinger, benannt wurde sie nach dem deutschen Gewerkschaftsführer Carl Legien, der wiederum durch das „Stinnes-Legien-Abkommen“ aus dem Jahr 1918 in die Geschichte eingegangen ist.

Die Gebäude sind in U-förmig angeordnet, und die Wohnungen orientieren sich zu einem großzügigen Gartenraum. Helle Straßenfassaden und farbig gestaltete Innenhöfe prägen das Bild.

Die Hufeisensiedlung

Berliner Moderne, Hufeisensiedlung, Foto vom Lageplan
Hufeisensiedlung, Lageplan

Diese wohl bekannteste Siedlung liegt in Neukölln: die Hufeisensiedlung wurde in mehreren Bauab-schnitten zwischen 1925 und 1933 von Bruno Taut geplant und gebaut.

Berliner Moderne, Hufeisensiedlung, Blick auf den rechten, voreren Teil des Hufeisens
Hufeisensiedlung (Siedlung Britz)

Die eigenwillige Form eines Hufeisens läßt sich freilich nur aus der Luft richtig würdigen. Sie ist der Geländestruktur des ehemaligen Ritterguts Britz geschuldet. Das zentrale Gebäude schwingt sich um ein in der Eiszeit entstandenes Wasserbecken, einen Pfuhl, umgeben von einer großzügig angelegten Gartenanlage. Auch hier sind die Wohnungen zum Innenhof hin orientiert.

Hinter dem Hufeisen schließt sich ein idyllisches Plätzchen, der Hüsung an. Im Gegensatz zu den anderen beiden Siedlungen gibt es rund um das Hufeisen eine Reihenhausbebauung, durch die man auf Gartenwegen schlendern kann; hier wird der Bezug zur Idee der Gartenstadt am deutlichsten. Es ist sehr ruhig und beschaulich – kaum zu glauben, daß man sich auf dem Gebiet einer von Lärm geprägten Großstadt befindet.

Am Eingang zur Hufeisensiedlung befindet sich ein kleines Café, das auch einige nützliche Informationen über die Siedlung bereit hält, u.a. auch den oben abgebildeten Lageplan. Hier kann man überdies eine originalgetreu eingerichtete Küche anschauen – diese kann aber mit der Ausstattung und Funktionalität der Frankfurter Küche nicht mithalten.

Die Berliner Moderne und das Neue Frankfurt

Berliner Moderne, Hufeisensiedlung, Eingang mit Leuchte aus Glasbausteinen
Hufeisensiedlung, Eingang

Die Architektur der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts stellt eine komplette Abkehr von der Gründerzeit dar. Die Funktionalität und die Lebensqualität der Bauten stehen im Zentrum, auch dekorative Elemente müssen sich diesem Ziel unterordnen. Für den Besucher erschließt sich diese Ästhetik erst auf den zweiten Blick. Daher sollte man sich zum „Einsehen“ Zeit lassen, bevor man zur Kamera greift. Neben den Gebäudeansichten bieten sich auch Detailaufnahmen an, die zu ansprechenden Serien zusammengestellt werden können, z. B. Balkone oder Türen.

Als Frankfurterin bin ich natürlich mit den Ernst-May-Siedlungen recht vertraut. Vergleiche drängen sich immer wieder auf. Eine Reihe von Stilelementen finden sich auch in Frankfurt wieder, so z.B. die Bullaugen in der Römerstadt, die Eckfenster oder das Idyll einer Gartenstadt. In Berlin stehen Mehrfamilienhäuser im Mittelpunkt, in Frankfurt sind die Siedlungen stärker mit Reihenhäusern durchmischt; sie wirken daher kleinteiliger und sind zumeist auch viel kleiner.

Ein bißchen schade ist es, daß man in Berlin spontan keine Musterwohnung besichtigen kann, denn das Konzept der stringenten Funktionalität setzt sich auch in der Innenausstattung fort. In Frankfurt sei dem Besucher der Römerstadt daher unbedingt ein Besuch im Ernst-May-Haus empfohlen.

Also – worauf wartet ihr noch? Schnappt Euch Eure Kamera und holt bequemes Schuhwerk aus dem Schrank, dann kann es auch schon losgehen, egal ob zu Hause in Frankfurt oder im fernen Berlin, das ja immer eine Reise wert ist.

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